Take Shelter

Seit jeher retten in Hollywood strahlende Helden Babys in Zeitlupe aus flammenden Infernos. Das „Bigger than life“ gehört einfach zur universellen Filmsprache, die US-amerikanische Filme groß gemacht hat. Selbst wenn Dinge erzählt werden, die tatsächlich passiert sind – ein aidskranker Tom Hanks kämpft standhaft gegen seine Entlassung etc. – müssen die wirklichen Menschen und Ereignisse hinter der überdeutlichen Message zurückstehen.

In den letzten Jahren ist allerdings in den USA eine Art des Filmemachens entstanden, zuerst in Independent-Filmen und inzwischen auch im Mainstream, die offensichtlich das genaue Gegenteil will: Eine naturalistische Erzählweise, bei der die Kamera auf echte Charaktere gerichtet wird. Dieses Jahr bekam The Descendants (2011) mit George Clooney einen Oscar, in dem ein Familienvater von der Affäre seiner Frau erfährt, als diese nach einem Unfall im Koma liegt. In Jason Reitmans Young Adult (2011) mit Charlize Theron kehrt eine junge Frau in die Kleinstadt zurück, in der sie aufgewachsen ist, um ihre inzwischen mit Kind verheiratete Jugendliebe noch einmal rumzukriegen, in Win Win (2011) mit Paul Giamatti, versucht ein kleiner Anwalt in Finanznöten eine Pflegschaft in seinem Sinne zu deichseln.

Alle diese Filme wollen das normale, mittelständische Leben so zeigen, wie es ist. Streng aus der Perspektive der Protagonisten, ohne Außenansicht, ohne übergeordnete Moral oder eindeutige Gut/Böse-Einteilung, oft fast hermetisch wird das Leben der Figuren verfolgt. Niemand wächst über sich hinaus, es passiert nichts Weltbewegendes, die Geschichten sind fast im Hintergrund, die Kamera zeigt die Figuren und durch die Interaktion ergeben sich die Konflikte und Probleme.

Take Shelter gehört sicherlich in diese Reihe von Filmen, geht aber doch darüber hinaus. Der Bauarbeiter Curtis (Michael Shannon) lebt mit seiner Frau und seiner kleinen gehörlosen Tochter in einer Kleinstadt in Ohio. Ihn plagen Alpträume, in denen ein apokalyptischer Sturm aufzieht und unheimliche Fremde seine Familie und ihn selbst bedrohen. Dass seine Mutter paranoid-schizophren ist und seit Jahrzehnten betreut werden muss, hängt wie ein Damokles-Schwert über ihm, trotzdem nimmt Curtis einen Kredit auf, den er sich eigentlich nicht leisten kann, um in seinem Garten einen riesigen Schutzbunker zu bauen.

Sehr präzise wird gezeigt, unter welchem seelischem Stress Curtis steht: der Leistungsdruck auf der Arbeit, die Verantwortung als Versorger seiner Familie und eine Operation, die seiner Tochter das Hörvermögen wiedergeben könnte. Eine Interpretation des Films als Sozialdrama greift dann aber doch zu kurz, obwohl die für europäische Verhältnisse katastrophale soziale Absicherung durchaus angedeutet wird. Durch seine Visionen wird Curtis ein „Außerhalb“ aufgezwungen. Der Rest der Gemeinschaft hält ihn für geisteskrank, er hingegen sieht sich als der Einzige, der den alles vernichtenden Sturm kommen sieht. Damit durchbricht auch der Film die hermetische Abgeschlossenheit des kleinstädtischen Lebens – der Sturm wird zur Metapher.

Take Shelter ist beeindruckend, auch weil er dem Zuschauer keine Interpretation vorgibt, sondern bis zum Ende auf der naturalistischen Ebene bleibt und damit eine andere Dramatik erzeugt, als man sie aus Blockbustern kennt.

„Take Shelter“, USA, 2011, R. Jeff Nichols, D. Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart u.a. Ascot Elite Filmverleih GmbH KINOSTART: 22.3.

Von |2018-11-30T19:05:54+01:0017. März 2012|Film|