Ist es die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuern, die Gier nach Gold oder doch die knisternde erotische Spannung, hust, hust, zwischen Orlando und Keira, die die Menschen in Scharen ins Kino getrieben hat? Die Welt scheint im Piratenfieber… Grund genug also die kurze Pause zwischen Teil 4 und 5 der Pirates of the Caribbean zu nutzen, um unser Holzauge auf eine der erfolgreichsten Filmserien der letzten Jahre zu werfen.
Vielleicht sollte man erst mal fragen, warum der erste Film 2003 eigentlich nicht gefloppt ist, denn das Genre galt davor zwar als klassisch, aber auch als tot und jeder Versuch es wiederzubeleben endete, so schien es, zwingend in einem finanziellen Desaster.
Noch 2002 floppte die Disney-Zeichentrickversion der Schatzinsel Der Schatzplanet (Treasure Planet, USA 2002) trotz der üblichen Megapromotion in Fastfood-Ketten etc. mit für Disney ungewohnter Wucht. Die Neuinterpretation mit Raumschiffen, Außerirdischen und etwas luftleeren Charakteren wollte niemand sehen.
Einige Jahre zuvor hatte es das mit hohem Budget verwirklichte, durch und durch klassische Seeräuberabenteuer Die Piratenbraut (Cutthroat Island, USA 1995) sogar als größter Flop aller Zeiten ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft und seine bis dahin recht erfolgreiche Produktionsfirma Carolco Pictures mit in die Tiefe des Bankrotts gerissen. So schlecht ist der Film zwar nicht, hat aber einen Mangel an Symphathieträgern, irgendwie hat man das Gefühl, dass sich die ganze Zeit böse Piraten mit noch böseren Piraten anlegen.
Dann war da noch der berüchtigte Versuch von Altmeister Roman Polanski das Piraten-Genre wieder auf Kurs zu bringen, mit dem schlichten Titel Piraten (Pirates, FR 1986), der leider nicht so richtig hart am Wind segelt, obwohl der abgehalvterte Walter Matthau als bärbeißiger Piratenkapitän mit Holzbein schon cool ist – Einspielergebnis 6,3 Millionen Dollar bei 40 Millionen Produktionskosten.
Das war allerdings immer noch mehr als Insel der Piraten (Nate and Hayes, USA 1983) mit Tommy Lee Jones einbrachte, der versuchte die Erfolge der Indiana-Jones-Filme zu kapern.
Der einzig erwähnenswerte Hollywood-Seeräuber der 70er war wohl Robert Shaw als Der scharlachrote Pirat (Swashbuckler, USA 1976), dessen kommerziell erfolglose Abenteuer man als halb klassisch, halb ironisch, mit Anspielungen auf abartige Sex-Praktiken beschreiben könnte.
Pirates of the Caribbean brach den Fluch, der auf dem Genre zu lasten schien und das obwohl die Serie eigentlich sämtliche Klischees, vom Papagei auf der Schulter bis zum vergrabenen Schatz, ausbeutete – wobei der Schatz ja schon gefunden und ausgegeben wurde und dann wieder eingesammelt werden muss, um ihn zurückzugeben… hm, also mal der Reihe nach.
Piratenfilme gehörten seit jeher zum klassischen Stoffinventar von Hollywood. Auch heute noch sehenswert ist der Stummfilm The Black Pirate (USA, 1926), in dem Douglas Fairbanks zum Piratenkapitän wird, allerdings nur, um sich an den Piraten für die Ermordung seines Vaters zu rächen. Ein gewisser Widerhall dieses Motivs findet sich in Teil 3, wenn Orlando Bloom Kapitän der Flying Dutchman wird. Die Parallele geht aber noch weiter, in The Black Pirate fehlt die Yipee-ye-yo-und-ne-Buddel-voll-Rum-Romantik, die Piraten sind Halsabschneider im wörtlichen Sinne. In einer Szene verschluckt ein Gefangener einen Goldring, damit er ihm nicht gestohlen wird, woraufhin man ihm bei lebendigem Leibe den Bauch aufschlitzt. Solche Brutalitäten gab es seitdem selten in Piratenfilmen und haben was von der gnadenlose Crew von Davy Jones („Sir, was sollen wir mit den Überlebenden machen? – Antwort: Es gibt keine Überlebenden.“)
Mit Errol Flynn, dem Prototyp des romantischen, gutaussehenden Gentleman-Piraten, wurde das alles anders. Dessen Durchbruch als Schauspieler war Unter Piratenflagge (Captain Blood, USA 1935), in dem er einen Arzt spielt, der unschuldig verurteilt und in die Sklaverei verkauft wird, sich befreit und dann als Pirat die Meere unsicher macht. Am Ende wird er wegen seiner Heldentaten für die Krone begnadigt und bekommt die Frau seines Herzens. In Der Herr der sieben Meere (The Sea Hawk, USA 1940) kämpfte er gleich von Anfang an für die Queen als Freibeuter gegen die verderbten Spanier und in Gegen alle Flaggen (Against All Flags, USA 1952) gab er nur vor, ein Pirat zu sein, um ein Piratennest auszuheben. Flynn hätte nie die Gier nach Gold gepackt und als Seeräuberkapitän tobt er sich nur so lange aus, bis er am Ende immer in den heimatlichen Hafen der Ehe einläuft.
Flynn verkörperte das konservative Ideal von Abenteuerlust der 40er und 50er – als etwas, das nur kanalisiert akzeptabel ist. In der Jugend schlägt man schon mal über die Strenge, solange man am Ende weiß, wo man hingehört. Etwas piratiger war Tyrone Power in Der Seeräuber (The Black Swan, USA 1942), aber auch er hält am Ende vor untergehender Sonne die Frau seiner ehelichen Träume in den Armen. Heutzutage ist das natürlich eher laaaaangweilig und Orlando Bloom kann (insbesondere im ersten Teil) wohl als ironische Anspielung auf die „Piraten mit Bausparvertrag“ jener Jahre durchgehen.
Es gibt allerdings ein Motiv dieser Filme, das immer wieder auftaucht und inzwischen zum Standardrepertoire gehört, und zwar die Idee der feinen Lady auf dem Piratenschiff. Ein Schiff wird geentert, an Bord eine feine Dame, oft noch mit Anstandswauwau, aber der Piratenkapitän ist der perfekte Gentleman, bereitet ihr ein vorzügliches Mahl (das sie nicht anrührt) und hält seine notgeile Crew auf Abstand – obwohl ihm die Dame ins Gesicht sagt, wie sehr sie ihn verachtet. Auch Keira Knightly verschlägt es in Teil 1 auf ein böses Piratenschiff – mit allem, was dazugehört (Wenn sie nicht am Dinner mit Barbossa teilnehmen will, muss sie nackt mit der Crew speisen). Wohl die erste exploitative Gang-Rape-Fantasie, die es in einen Disney-Film geschafft hat.
Keira Knightly ist die feiste Heldin, oberflächlich eine verwöhnte Luxusmaus, mausert sie sich zur schwertschwingenden Amazone. Das große Vorbild hier ist natürlich der rothaarige Wildfang Maureen O’Hara, der als Gespielin von Flynn und Power in oben genannten Filmen die behäbige Machowelt aufpeppte.
Während der Blütezeit des Piratenfilms in den 40ern bis Anfang der 50er gab es aber noch einen anderen Piraten-Typus, der heute sehr viel interessanter ist: der ambivalente Bösewicht. Schon in Stevensons Roman „Die Schatzinsel“ ist der eigentliche Held zweifellos der hünenhafte, einbeinige Schiffskoch Long John Silver, der einerseits ein herzlicher, wortgewandter Geselle ist, andererseits aber unglaubliche Grausamkeiten auf dem Kerbholz hat. Die einflussreichste Verfilmung des Stoffes (zumindest im englischen Sprachraum) ist bis heute Die Schatzinsel (Treasure Island USA 1950) von Byron Haskin (Robinson Crusoe on Mars, War of the Worlds), ebenfalls eine Disney-Produktion. Einflussreich deshalb, weil Robert Newton als John Silver ständig Sachen sagt, wie „Arrrrg, shiver me timbers“ und auch sonst genauso redet, wie ein böser Pirat eben reden muss, nur dass er der erste war, der so redete. So spricht auch Geoffrey Rush als Barbossa wie Newton und orientiert seine Figur auch sonst an ihm, vielleicht noch mit einer Prise Charles Laughton in Unter schwarzer Flagge (Captain Kidd, USA 1945) – auch einer der ganz großen ambivalenten Bösewichte des Piratenfilms.
Damit kommen wir zum eigentlichen zwielichtigen Helden der Reihe, nämlich zum glorreichen Captain Jack Sparrow alias Johnny Depp. Es dürfte wohl niemand bestreiten, dass der Erfolg der Filme auf sein Konto geht. Im ersten Teil war er noch der Comic Relief, der für witzige Einlagen sorgen sollte, spätestens ab dem zweiten Teil hätten sie die ganze Reihe aber auch in „Die Abenteuer von Jack Sparrow“ umbenennen können. Depp bürstete erfolgreich das Klischee des hypermaskulinen Seebären mit Salzwassergeruch mit seiner tuntigen Performance gegen den Strich, er ist ein ungewaschener, saufender Pirat, gleichzeitig aber unglaublich eitel. In einer Szene ist er furchtlos und jederzeit Herr der Lage, in der nächsten ein offensichtlicher Feigling und bereit alles im Stich zu lassen. Daher wechseln sich auch ständig Heldentaten mit Verrat ab, seine Ambivalenz macht ihn unberechenbar, was wohl, wie bei John Silver auch, einen Großteil der Faszination des Charakters ausmacht.
Ihre ironisch-überdrehte Grundstimmung hat die Reihe aus dem Film Der rote Korsar (The Crimson Pirate, USA 1952), der auch eine der Inspirationen für die Disney-Vergnügungspark-Attraktion war, auf der ja die Filme basieren. Burt Lancaster spielt in diesem Film den Piratenkapitän Vallo, den prototypisch gutgelaunten, ungezügelten Haudegen, für den Gold nur ein Alibi ist, um sich ins Abenteuer und in die Liebe zu stürzen. Wie bei Jack Sparrow funktionieren seine Pläne immer nur halbwegs. Beide sind aber schließlich Glückskinder und schaffen es deshalb immer, wenn sie etwa hier wie da mit akrobatischen Slapstick-Einlagen gegen eine Übermacht von Soldaten antreten. Auch die Idee mit dem umgekehrten Rettungsboot auf dem Meeresgrund (Teil 1) stammt aus diesem Film.
Was Pirates of the Caribbean allerdings von allen genannten Filmen unterscheidet, ist das Element des Fantastischen: Flüche, Hexereien, Geister, Seemonster – die Filme sind voll davon. Auffallenderweise kamen übernatürliche Elemente in den klassischen Piratenfilmen ebenso wenig vor wie in ihren Wiederbelebungsversuchen der späteren Jahrzehnte. Dafür
aber in den zahlreichen Special-Effects-Filmen um den Seefahrer Sindbad und andere mythologische Gestalten der Antike, die, was Freiheit und Abenteuer betrifft, den Piraten in nichts nachstanden. Sehr einflussreich waren insbesondere die Produktionen der 60er und 70er, bei denen Ray Harryhausen mitgewirkt hat, und deren Ästhetik auch durch alle Teile hindurch erkennbar ist.
Die Hollywood-Ära der Piratenfilme ging gegen Ende der 50er zu Ende, in den 60ern und 70ern gab es aber noch eine Vielzahl europäischer Produktionen, die in der Regel mit überschaubarem Budget realisiert wurden. Zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und immer noch sehenswert sind etwa der ZDF-Weihnachtsvierteiler Die Schatzinsel (D, FR 1966) oder Kabir Bedi in Sandokan- Der Tiger von Malaysia (TV-Serie, IT 1976). In Hollywood traten Piraten zu dieser Zeit aber oft nur noch in Kinderfilmen auf, etwa Peter Ustinov als ruheloser Geist von Blackbeard in Käptn Blackbeards Spuk-Kaschemme (Blackbeard’s Ghost, USA 1968), wo er einem Leichtathletik-Trainer helfen muss, eine Pension vor dem Ruin zu bewahren. In diesem Kontext auch erwähnenswert ist der empfehlenswerte DDR-Kult-Kinderfilm Das Herz der Piraten (DDR 1988), in dem ein kleines Mädchen das sprechende Steinherz eines Piraten am Strand findet.
Bemerkenswerte Piraten-Streifen der 80er sind eher Parodien, wie die von den Monty-Python-Mitgliedern produzierten Filme Dotterbart (Yellowbeard, UK 1983) oder The Crimson Permanent Assurance (Kurzfilm, UK 1983, als Teil von Monty Python’s The Meaning of Life). Viel zu wenig beachtet wird auch die Star-Wars-Persiflage Krieg der Eispiraten (The Ice Pirates, USA 1984).
Für die Pirates of the Caribbean war der entscheidende Einfluss dieser Zeit aber keinesfalls ein Film, sondern ein Point-and-Click-Adventure um den glücklosen Piraten Guybrush Threepwood: The Secret of Monkey Island (1990) und dessen Nachfolger Monkey Island 2: LeChuck’s Revenge (1991), in dem Voodoo-Zigeunerinnen tote Piraten aus dem Jenseits holen und auch sonst allerhand Blödsinn getrieben wird.
Die Parallelen zwischen den Videospielen und den Filmen kommen nicht von ungefähr. Eigentlich war eine Verfilmung von Monkey Island geplant, wurde aber aufgegeben, der Drehbuchautor Ted Elliott schrieb dann bei Pirates of the Caribbean mit.
Was erhoffen wir uns also von Teil 5, der gerade gedreht wird und im Sommer 2013 rauskommen soll? Ich denke, ich will mehr Penelope Cruz, die macht mehr her als Keira, obwohl die „Chemie“ mit Johnny nicht ausreicht, um mir einzureden, dass die beiden jemals ein Liebespaar waren. Ansonsten wieder so viel Action, dass die Handlung egal ist – das werde ich wohl bekommen.
Für ungeduldige Piratenfans gibt es jedenfalls in nächster Zukunft eine ganze Menge Filmschätze (oder vielleicht auch Flüche, schaun wir mal), schon Ende März 2012 gibt es Die Piraten- Ein Haufen merkwürdiger Typen (The Pirates! In an Adventure with Scientists, USA 2012), im britischen Fernsehen lief Anfang des Jahres eine neue Version der Schatzinsel mit Donald Sutherland, Elijah Wood und Eddie Izzard. Am Horizont ist auch Steven Spielberg auszumachen, der plant einen Piratenroman zu verfilmen, den man nach dem Tod von Michael Crichton auf dessen Computer gefunden hat: Pirates Latitudes. Ebenfalls im Planungsstadium sind Remakes von Blackbeard, Captain Blood, Captain Kid und ein Film mit dem vielversprechenden Titel Part-Time Pirates. Yo-ho, matey and up she rises!