Christian Kracht, Ingo Niermann: Metan

Wenn man das Buch in den Händen hält, fällt zunächst auf, dass der Essay „Metan“ auf Seite 11 beginnt und auf Seite 88 endet und somit aus 79 Seiten besteht. Eine Anspielung also auf Christian Krachts Roman „1979“, in dem er die Ereignisse der islamischen Revolution im Iran jenes Jahres aus der Sicht eines jungen Homosexuellen beschreibt, der sich dort als Tourist aufhält. Eine äußerst bizarre Geschichte, mit übernatürlichen Elementen, in der der junge Mann schließlich in einem chinesischen Umerziehungslager landet.

Von Seite 90 bis 133 (man denke an die Zeitspanne 1890-1933 Abdankung Bismarcks bis Machtergreifung Hitlers, Zufall?) folgt eine Bildergalerie, deren Inhalt rätselhafter nicht sein könnte. Auf Seite 109 etwa sieht man Ingo Niermann, wie er mit steinernem Entsetzen den Hörer eines öffentlichen Telefons an sein Ohr hält – in Zeiten des Handys eine lächerlich plakative Geste. Wen ruft er an? Die Antwort bleibt scheinbar im Dunkeln, findet sich in der Bildergalerie doch kein Text, aber der Name des Fernsprechunternehmens, der sich auf dem Telefon befindet „Rafiki Payphone“ gibt sie preis. „Rafiki“ ist Suaheli für „Freund“. Welchen Freund ruft er an? Die Antwort darauf ist erschreckend und faszinierend zugleich, sie erschüttert die Grundfesten dessen, was wir glauben, glauben zu können.

Um zu verstehen, worum es geht, müssen wir zunächst noch einmal einen Schritt zurücktreten, uns frei machen von Vorurteilen, von dem, was wir meinen zu wissen. Wie ist der Titel des Buches? „Metan“ – da überläuft es uns kalt – sollte es nicht „Methan“ heißen? Ein Druckfehler schon im Titel? Nein, natürlich nicht. Der Titel ist schon Teil der Verunsicherung und im Text selbst wird ständig zwischen den Schreibweisen „Metan“ und „Methan“ hin und her gewechselt. Ein Text, in dem sonst keine Tippfehler vorkommen – bis auf einen weiteren. Ein Fehler, der mit unglaublicher Chuzpe und intellektuellem Genie platziert wurde. Auf Seite 15 steht der Satz:

„[…] das Methangas wird durch die schützende Hau-

thülle vom Aufstieg in höhere Luftschichten abgehalten.“

Ein wahrlich atemberaubender Rechtschreibfehler, der uns u.a. mit der Nase auf das“th“ stößt – den Schlüssel zu diesem Buch. Im Deutschen gibt es keinen Unterschied in der Aussprache zwischen „t“ und „th“, nicht so in anderen europäischen Ländern, wie etwa im Vereinigten Königreich, in denen das „th“ als zischender, sprudelnder Frikativ-Laut verwirklicht wird, die Zunge wird gegen die vorderen Zähne gepresst und langsam entweicht an ihr vorbei die Luft mit einem leisen, sich in die Länge ziehenden Ton, der langsam schwächer wird, wie eine übelriechende Flatulenz aus Methan. Dem entgegen steht das reine, explosive „t“.

Betrachten wir noch einmal das Buch. Der Untertitel „Die unglaubliche Wahrheit über den Klimawandel“ macht klar, dass hier unfassbare Tatsachen auf den Tisch gepackt werden. Die Autoren geben vor, Anhänger der Methanisierung zu sein, der schleichenden Machtübernahme des Methans und der damit einhergehenden Umformung unseres Klimas. Fast euphorisch beschreiben sie etwa die Pläne den Kilimanjaro mit Atomwaffen zu bombardieren, um den Klimawandel voranzutreiben. Das hat viele Rezensenten irritiert, die übersehen haben, ja, übersehen sollten, dass es für die Autoren viel zu gefährlich, wenn nicht lebensgefährlich, gewesen wäre, ihre wahre Meinung zu diesem Thema zu schreiben.

Das „t“ in „Metan“ gibt uns aber den entscheidenden Hinweis. Das „t“, das mit voller Energie explodiert, es hat nichts Schleichendes, es ist der Laut, mit dem man jemandem ins Gesicht spuckt, es ist ein Bild für eine Explosion, Mengen von Metan (ja, MeTan!!!), die in einem einzigen Augenblick vernichtet werden in einem befreienden Feuerball.

Auch Christian Krachts letzten Roman sollte man erwähnen: „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, ein Titel, der den

Möchtegern-Weltherrschern die geballte Faust entgegenstreckt und dessen Inhalt, bei dem ein möglicher alternativer Verlauf der Weltgeschichte verfolgt wird – die Errichtung einer Schweizer Sowjetrepublik, trotz der Dystopie, ein Fanal ist. Ein Fanal gegen das Metan.

Christian Kracht/Ingo Niermann: Metan, 144 Seiten, Fischer Taschenbuch Verlag. // Hintergrundbild: Anna Cervova

Von |2018-11-30T18:36:17+01:0025. November 2011|Buch|