2008 wurde Dietmar Daths umstrittener Roman „Die Abschaffung der Arten“ veröffentlicht. Die Meinungen der Kritiker reichten von unlesbar bis genial, oft fallen beide Wörter in der gleichen Besprechung. Das Buch war trotzdem (oder gerade deshalb) kommerziell erfolgreich und wurde für den Deutschen Buchpreis 2008 nominiert. 2009 erhielt es den Kurt Laßwitz Preis als bester Roman. Es folgte 2009 eine Bearbeitung als Theaterstück des Deutschen Theaters Berlin und 2010/2011 die Umsetzung als 12-stündiges Hörspiel durch den Bayerischen Rundfunk, die ich mir angehört habe.
Worum geht es? Einen Hinweis gibt schon der Titel: „Die Abschaffung der Arten“ bezieht sich auf Charles Darwins „Über die Entstehung der Arten“ – die Evolution ist das zentrale Thema. In einer fernen Zukunft wurde die Herrschaft der Menschen durch die Tiere beendet, die nun intelligent und Meister ihrer eigenen Gene sind. Diese neuen Wesen nennen sich selbst Gente. Die Grenzen zwischen den Tierarten sind nun fließend und genetische Mutationen steuerbar, die Gente können sogar ihre eigene Form und ihr Geschlecht ändern und leben tausende von Jahren.
Zunächst wird beschrieben, wie die Menschheit in einem großen Krieg unterging, welche Welt die Gente auf ihren Trümmern errichtet haben und wie die überlebenden Menschen behandelt werden. Allerdings gibt es noch eine dritte Partei, die Keramikaner, eine Art Computer-Maschinen-Wesen, die einen Eroberungsfeldzug von Südamerika aus gestartet haben (das Zentrum der Gente-Kultur befindet sich in Europa).
Im Laufe der Geschichte gewinnen die Keramikaner immer mehr die Oberhand, bis sich die Gente schließlich gezwungen sehen, eine Arche zu bauen und in den Weltraum zu flüchten.
Die Gente-Kultur besteht von da ab auf den Planeten Mars und Venus weiter, wobei es verschiedene Fraktionen gibt, die sich gegenseitig bekriegen. Nach tausenden von Jahren kehren die Gente Feuer und Padmasambhava auf die Erde zurück, wo die Herrschaft der Keramikaner inzwischen zu Ende gegangen ist.
Die Performance der Schauspieler im Hörspiel ist durchaus gelungen, unter den Mitwirkenden finden sich so bekannte Namen wie Karin Anselm, Mogens von Gadow, Hans Georg Panczak, Philipp Moog, Sylvester Groth und der kürzlich verstorbene Michael Habeck in seiner wahrscheinlich letzten Rolle. Auch die Musik von mouse on mars ist stimmig und hörenswert.
Das Hörspiel mutet dem aufmerksamen Hörer allerdings nicht gerade wenig zu. Es treten dutzende von Charakteren auf, die Handlung (wenn man sie so nennen kann) besteht aus Szenen von Dialogen und Monologen, die sich nur schwer durchschauen lassen. Momente der Klarheit sind rar. Da lässt es sich kaum vermeiden, dass die eigene Konzentration bisweilen in der Flut von Handlungsfragmenten und Anspielungen absäuft.
Was man auf jeden Fall im Voraus wissen sollte, ist, dass Dietmar Dath sich als knallharter Marxist-Leninist definiert. Die Grundstruktur der Handlung wird dadurch verständlicher. Die Gemeinschaft der Gente auf der Erde ist (nicht der real existierende) sondern der tatsächlich verwirklichte Sozialismus. Es gibt keine entfremdende Arbeit, die Gente sind frei, allerdings gibt es auch keine Demokratie, der unbestrittene Herrscher der Gente ist der Löwe Cyrus Golden. Bedroht wird diese Gesellschaft von den Keramikanern, seelenlose Maschinen-Geschöpfen (die für Dath selbst eine Metapher für das „Geld“, also für die alles einnehmende Macht des Kapitals, sind).
Nach dem Fall der Mauer gab es keinen Philosophen, der toter gewesen wäre als Marx und mit ihm jede Art der radikalen Gesellschaftsanalyse oder Ideologie. Der Erfolg von Büchern wie Michael Hardts und Antonio Negris „Empire“ („Das Kommunistische Manifest des 21. Jahrhunderts“) und Slavoj ?i?eks subversiver Kapitalismus-Kritik sprechen dafür, dass sich das ändert. Auch Christian Kracht hat letztes Jahr einen Kriegsroman veröffentlicht („Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“), in dem er durchspielt, was passiert wäre, wenn Lenin die Sowjet Republik in der Schweiz errichtet hätte. (Erwähnenswert ist hier, dass nicht alle neueren radikalen Gesellschaftsanalysen von Marx inspiriert sind, in diesem Zusammenhang sei Adam Curtis‘ dreiteilige Dokumentation „All watched over by machines of loving grace“ erwähnt, in der behauptet wird, dass sich unser Selbstverständnis als Menschen immer mehr unserem Verständnis von Computern annähert.)
Daths Beschäftigung mit marxistischen Ideen ist also durchaus Teil einer Bewegung und wenn man sich die globale Situation betrachtet, zweifellos angebracht. Meine Probleme hatte ich dann aber doch mit der Form.
Formal könnte man das Werk als Fabel beschreiben. In der Fabel treten bekannter- maßen Tiere auf, die sich wie Menschen benehmen, wobei jeder Tierart bestimmte Charaktereigenschaften oder Funktionen zugeordnet sind, der Fuchs ist listig, der Hase ist ängstlich, der Löwe ist der Herrscher etc. Traditionell (z. B. bei Aesop) waren Fabeln dazu da, um eine Lehre zu verdeutlichen (z. B. „In guten Zeiten sparen, dann hat man was für schlechte Zeiten“). Interessanter ist aber, dass die Fabel als Form die komplexen Verhältnisse und Beziehungen der menschlichen Gesellschaft auf das Gerüst reduziert und dadurch soziale Funktionsweisen und Abläufe sehr deutlich dargestellt werden können. In George Orwells „Animal Farm“ wird etwa der Ablauf einer Revolution und die Zeit danach auf diese Weise beschrieben.
„Animal Farm“ dürfte dann auch eine der Inspirationen für Dath gewesen sein. Die Voraussetzung dafür, dass eine Fabel funktioniert, ist allerdings, dass die handelnden Charaktere durch ihren Stellenwert innerhalb der Geschichte definiert sind, also eindimensional ohne verborgenes Gefühlsleben daherkommen, nur dann können ja die größeren Zusammenhänge wiederum in aller Deutlichkeit (wenn auch auf das Entscheidende reduziert) dargestellt werden. Die handelnden Charaktere sind in der Fabel mehr Schachfiguren, die hin und her bewegt werden, das Spiel ist das, worauf es ankommt.
Wenn sich die Schachfiguren nun aber in langen Dialogen und Monologen ergehen, ohne auf dem Schachbrett hin und her bewegt zu werden, dann kippt die Fabel.
Natürlich ist die Interpretation von Daths Roman als Fabel nicht zwingend. Es könnte ja auch die Darstellung der fantastischen Welt im Zentrum stehen, die durch die Dialoge detailreich beschrieben werden soll. In Tolkiens „Herr der Ringe“ dient die Handlung etwa dazu, seine erfundene Welt mit ihren Völkern, ihrer Geschichte etc. möglichst genau zu beleuchten. Die Handlung (Objekt X von A nach B bringen) ist, genau wie die eindimensionalen Figuren, Nebensache. Bei Dath fallen aber Sätze, wie: „Geh zur Insel, die früher Großbritannien genannt wurde.“ Nun, entweder verwenden die Gente immer noch die Terminologie der Menschen („Geh nach Großbritannien“) oder sie haben neue Namen („Geh nach Wutzihutziputz“), kein Mensch würde doch heutzutage sagen „Ich fahre zur Stadt, die früher Neu Amsterdam genannt wurde“, wenn er nach New York reist. Der Roman ist voll von solchen Äußerungen, die Gente verachten zwar die Menschen, reden aber über nichts anderes und beziehen auch alles, was sie sagen, auf die Ära der Menschen. Warum aber sollten sich diese Wesen in der fernen Zukunft ausschließlich über Dinge unterhalten, die aus ihrer Sicht lange vorbei und überwunden sind? Das Universum, das Dietmar Dath erschafft, funktioniert deshalb nicht als eigenständige Welt, wie sie Tolkien erfunden hat.
Natürlich gibt es massenweise Sci-Fi und Fantasy, in der das so ist. Wenn die Enterprise einen neuen Planeten in einer fernen Galaxie entdeckt, dann darf man sich nicht wundern, wenn sie dort Abraham Lincoln oder einen römischen Kaiser treffen. Nur diese Storys haben wohl kaum den Anspruch an sich, den Dietmar Dath an sein Werk hat.
Was hier präsentiert wird, ist aber eben auch kein Feuerwerk von Ideen, kein Infragestellen von irgend etwas, sondern eine wirre Prophezeiung – und da liegt das Problem, wird hier etwas frei erfunden, ins Blaue hinein, oder wird etwas enthüllt, von jemandem, der es schon weiß?
Die religiöse Deutung als Prophezeiung ist nicht so weit hergeholt. Unterbewusst scheinen doch einige Rezensenten dem Roman „messianische“ Qualitäten zuzubilligen. So schrieb Die Zeit in der Besprechung des Romans: „Ihn zu lesen, heißt: In die grelle Sonne zu blicken“ und die FAZ: „[N]ichts davon ist wirklich. Aber alles wahrscheinlich wahr.“
Was mir als Eindruck vom Hörspiel bleibt, ist, dass die beschriebene Welt zu sehr zusammengesetztes Konstrukt ist, ohne auf der menschlichen Ebene (denn die Gente sind Menschen, machen wir uns nichts vor) glaubhaft zu sein. Der Autor scheint mich mit seinen Gedankenspielereien beeindrucken zu wollen, ich will aber, dass mich eine Geschichte bewegt- entweder emotional oder durch interessante, neue Ideen.
Der Roman „Die Abschaffung der Arten“ ist im Suhrkamp-Verlag erschienen.